Was genau sind eigentlich Kriegsverbrechen?
Es klingt nach einem seltsamen Konzept aus, aber es gibt sogar im Krieg Regeln!
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Das Konzept von international anerkannten Kriegsverbrechen gibt es noch gar nicht so lange und im letzten Jahrhundert wurden entscheidende Fortschritte bei der Entwicklung genauer Richtlinien, wir heute einen Angriff definieren und kategorisieren, gemacht. Wenn Sie sich also nicht mehr wundern wollen, warum weiter solch schreckliche Bilder und Berichte von toten Zivilisten in den Schlagzeilen auftauchen, klicken Sie sich durch diese Galerie und erfahren Sie, was der internationalen Rechtssprechung widerspricht und wie es zu solchen einen Krieg regelnden Normen überhaupt kommen konnte.
Wer entscheidet es?
Kriegsverbrechen werden durch internationales Gewohnheitsrecht und Verträge festgelegt, obwohl es keinen einzigen, weltweit anerkannten Vertrag gibt, in dem alle Kriegsverbrechen aufgeführt sind. Stattdessen haben sich im Laufe der Zeit eine Reihe von internationalen Statuten und Konventionen entwickelt, um die schweren Verstöße im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten zu bestimmen.
Ein früher Versuch: Der Lieber Code
Der erste systematische Versuch, Kriegsverbrechen zu definieren, war ein Dokument mit dem Titel "Titel Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field" – bekannt als "Lieber Code", nach dem Hauptautor Francis Lieber – das der US-Präsident Abraham Lincoln während des amerikanischen Bürgerkrieges unterzeichnete. In dieser Anweisung wurden Dinge wie feindliche Zivilisten zu Zwangsarbeitern machen, und "zügellose Gewalt gegen Personen im überfallenen Land" als Verbrechen bezeichnet, die mit dem Tode zu bestrafen seien.
Das Konzept nahm nach dem 1. Weltkrieg an Fahrt auf
Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg beriefen die alliierten Siegermächte eine Sonderkommission über die Verantwortung der Kriegsverursacher und die Vollstreckung von Strafen ein, die empfahl, Kriegsverbrecherprozesse vor den nationalen Gerichten der Siegermächte und gegebenenfalls vor einem interalliierten Tribunal durchzuführen – die erste bedeutende internationale Gerichtsinstanz.
Man wollte große Namen, bekam aber kaum Unterstützung
Die Alliierten setzten vor allem auf Staatsoberhäupter (einschließlich des deutschen Kaisers Wilhelm II.), die traditionell Immunität genossen, und legten Deutschland eine Liste von etwa 900 mutmaßlichen Kriegsverbrechern vor, die Deutschland jedoch nur widerwillig auslieferte. Wilhelm II. flüchtete in die Niederlande und wurde nie vor Gericht gestellt, und auch die meisten anderen mutmaßlichen Verbrecher entgingen der Strafverfolgung.
Der nächste große Versuch kam nach dem 2. Weltkrieg
Während des gesamten Zweiten Weltkriegs hatten die Alliierten Kriegsverbrechen aufgelistet, die sowohl von Hitlers Naziregime als auch von der japanischen Regierung begangen worden waren, und bei Kriegsende unterzeichneten Vertreter der USA, des Vereinigten Königreichs, der Sowjetunion und der provisorischen Regierung Frankreichs das Londoner Abkommen, das ein internationales Militärtribunal vorsah, um die Hauptkriegsverbrecher der Achsenmächte vor Gericht zu stellen, und schließlich die Gesetze und Verfahren festlegte, nach denen die berühmten Nürnberger Prozesse durchgeführt werden sollten.
Drei Kategorien der Verbrechen
In der Nürnberger Charta werden drei Kategorien von Kriegsverbrechen aufgeführt: erstens Verbrechen gegen den Frieden, die die Vorbereitung und Einleitung eines Angriffskrieges beinhalten. Zweitens die "konventionellen" Kriegsverbrechen, zu denen Mord, Misshandlung und Deportation gehören. Drittens Verbrechen gegen die Menschlichkeit, zu denen die politische, rassische und religiöse Verfolgung von Zivilisten gehört – gemeinhin als Völkermord bezeichnet.
Es war viel effektiver
Vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg wurden 22 Naziführer angeklagt, und bis auf drei wurden alle Angeklagten verurteilt; 12 wurden zum Tode verurteilt. Japanische Angeklagte, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden, wurden durch die Charta von Tokio vor Gericht gestellt und alle 25 Angeklagten wurden verurteilt, von denen sieben zum Tode verurteilt wurden. Diese beiden Prozesse festigten die Idee, dass Nationen ein Sondergericht zur Wahrung des Völkerrechts einrichten können.
Kritik
Die Kriegsverbrecherprozesse wurden als bloße "Siegerjustiz" kritisiert, weil nur Personen aus besiegten Ländern angeklagt wurden und die Angeklagten für Taten, die zum Zeitpunkt ihrer Begehung angeblich nicht strafbar waren, verurteilt wurden. Das Nürnberger Tribunal berief sich jedoch auf den Kellogg-Briand-Pakt (1928), das multilaterale Abkommen, mit dem der Krieg formell geächtet und die Kriegsanbahnung unter Strafe gestellt wurde.
Die Genfer Konvention folgte
Nach den Nürnberger und Tokioter Prozessen wurde in zahlreichen internationalen Verträgen und den Genfer Konventionen versucht, eine umfassende Definition von Kriegsverbrechen zu schaffen, die sich vor allem auf die Behandlung von Zivilisten, Verwundeten und Kranken sowie Kriegsgefangenen konzentrierte. Die Genfer Konventionen bilden auch heute noch eine wichtige Grundlage für die Feststellung von Kriegsverbrechen.
Wichtige Entwicklungen nach Jugoslawien und Ruanda
Die Kriegsverbrechertribunale von Jugoslawien (1993) und Ruanda (1994) spielten eine Rolle bei der weiteren Definition von Kriegsverbrechen, die unter anderem Mord, Folter, Deportation, Versklavung und Völkermord umfassen. Bemerkenswert ist, dass beide Tribunale nicht in dem Land tagten, in dem der Konflikt stattfand, und dass sie nicht mehr die Todesstrafe verhängen konnten. Die Tribunale gehörten auch zu den ersten internationalen Gremien, die sexuelle Gewalt formell als Kriegsverbrechen anerkannten.
Die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH)
Die Idee, einen ständigen internationalen Strafgerichtshof einzurichten, wurde 1998 in Rom geboren, und 120 Länder verabschiedeten schließlich ein Statut für den IStGH, der 2002 in Den Haag gegründet wurde. Das Statut sieht vor, dass der IStGH für Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuständig ist, wenn die nationalen Gerichte untätig bleiben. Bemerkenswert ist, dass drei der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (China, die USA und Russland) dem Statut nicht zugestimmt haben.
Was also gilt heute als Kriegsverbrechen?
Seit den Genfer Konventionen gehören zu den schwersten Kriegsverbrechen vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die für ihr Überleben notwendige Infrastruktur. Das Römische Statut des IStGH enthält eine umfangreiche Liste von Kriegsverbrechen, die "schwere Verstöße" gegen die Genfer Konventionen darstellen, "nämlich jede der folgenden Handlungen gegen Personen oder Sachen, die nach den Bestimmungen der einschlägigen Genfer Konvention geschützt sind".
i. Vorsätzliche Tötung
Im Römischen Statut wird diese weit gefasste Kategorie um vorsätzlich gegen die Zivilbevölkerung gerichtete Angriffe erweitert. Dazu gehört auch der Völkermord, der in der Genfer Konvention als Tötung, Verursachung von (körperlichen oder seelischen) Schäden, Auferlegung von Maßnahmen zur Verhinderung von Geburten und gewaltsame Verbringung von Kindern in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören, definiert wird.
ii. Folter oder unmenschliche Behandlung einschliesslich biologischer Versuche
Dazu gehören Dinge wie die Durchführung biologischer Experimente oder Verstümmelungen an Zivilisten und die Folterung von Kriegsgefangenen. Dazu gehören auch "die Begehung von Missbrauch, sexuelle Sklaverei, Zwangsprostitution, erzwungene Schwangerschaft oder Sterilisation oder jede andere Form sexueller Gewalt, die ebenfalls einen schweren Verstoß gegen die Genfer Konventionen darstellt".
iii. vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit
Dazu gehört auch der Einsatz bestimmter Waffen, denn einige Waffen sind verboten, weil sie unterschiedslos oder mit entsetzlichem Leid verbunden sind, z. B. Antipersonenminen, Gift, erstickende Gase, chemische oder biologische Waffen.
iv. Zerstörung und Aneignung von Gut
Dazu gehören die Zerstörung von Infrastrukturen wie Häusern und gezielte Angriffe auf Personal, Einrichtungen oder Fahrzeuge, die an einer humanitären Hilfs- oder friedenserhaltenden Mission beteiligt sind, wie z. B. Krankenhäuser. Auch der Angriff oder die Bombardierung von Städten, Wohnhäusern oder Gebäuden, die nicht verteidigt werden, gilt als Kriegsverbrechen. Das Gesetz stellt klar, dass die Zerstörung und Aneignung die Grenze überschreitet, wenn sie "nicht durch militärische Notwendigkeit gerechtfertigt ist und unrechtmäßig und mutwillig durchgeführt wird".
v. Nötigung eines Kriegsgefangenen oder einer anderen geschützten Person zur Dienstleistung in den Streitkräften einer feindlichen Macht
Das bedeutet, dass ein Land, das ein anderes Land besiegt, die Bevölkerung des besiegten Landes nicht dazu zwingen kann, "an den gegen das eigene Land gerichteten Kriegshandlungen teilzunehmen".
vi. vorsätzlicher Entzug des Rechts eines Kriegsgefangenen oder einer anderen geschützten Person auf ein unparteiisches ordentliches Gerichtsverfahren
Kriegsgefangene haben das Recht auf ein faires und ordentliches Verfahren. Darüber hinaus ist die Tötung oder Verwundung eines Kämpfers, der sich ergeben hat, nicht zulässig.
vii. rechtswidrige Vertreibung oder Überführung oder rechtswidrige Gefangenhaltung
Die Trennung von Kindern von ihren Familien, das gewaltsame Einsperren oder die Deportation von Zivilisten wird als Kriegsverbrechen angesehen. Darüber hinaus umfasst es auch "die direkte oder indirekte Verbringung von Teilen der eigenen Zivilbevölkerung durch die Besatzungsmacht in das von ihr besetzte Gebiet".
viii. Geiselnahme
In dem Gesetz heißt es: "Die Ausnutzung der Anwesenheit einer Zivilperson oder einer anderen geschützten Person, um bestimmte Punkte, Gebiete oder Streitkräfte von militärischen Operationen auszunehmen" sowie "die Verletzung der persönlichen Würde, insbesondere die erniedrigende und entwürdigende Behandlung" werden als strafbare Handlungen angesehen.
Der Haken
Nicht jeder Verstoß gegen diese Regeln gilt als Kriegsverbrechen, sondern nur "schwere Verstöße", wie Tom Dannenbaum, Assistenzprofessor für Völkerrecht an der Tufts University, gegenüber "USA Today" erklärte. Außerdem gelten Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Mord, Folter, Versklavung, Massenverfolgung einer Gruppe oder andere Straftaten, die als Teil eines systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung begangen werden, technisch gesehen nur während eines bewaffneten Konflikts als Kriegsverbrechen.
Welche Anschuldigungen wegen Kriegsverbrechen gibt es in der Ukraine?
Ermittler haben Beweise für die vorsätzliche Tötung von Zivilisten durch Russland in einer Stadt namens Bucha und anderen nahe gelegenen Gebieten gefunden. Die Ukraine hat auch eine Petition an den Internationalen Gerichtshof gerichtet, in der sie Russland des Völkermordes bezichtigt.
Der Internationale Gerichtshof (IGH)
Während der IStGH gegen einzelne Kriegsverbrecher ermittelt und sie strafrechtlich verfolgt, die nicht vor den Gerichten der einzelnen Staaten stehen, entscheidet der IGH über Streitigkeiten zwischen Staaten, kann aber keine Einzelpersonen verfolgen. Er ist der gerichtliche Arm der Vereinten Nationen und befasst sich mit Streitigkeiten zwischen UN-Mitgliedstaaten und Verstößen gegen das Völkerrecht.
Es gibt Einschränkungen
Die Wirksamkeit des Internationalen Strafgerichtshofs und die Art und Weise, wie das Völkerrecht von der Theorie und den Verträgen in die Praxis umgesetzt wird, hängen von der sich ständig verändernden Politik und Diplomatie ab. Experten fordern jedoch, dass die Staats- und Regierungschefs der Welt ein einmaliges Tribunal zur Verfolgung des Kriegsverbrechens der Aggression in der Ukraine einrichten sollten.
Quellen: (BBC) (Britannica) (USA Today) (Rome Statute)
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