"Glaswahn": Eine seltsame Krankheit unter Adeligen im mittelalterlichen Europa
Diese Krankheit war unter den Reichen im mittelalterlichen Europa erstaunlich verbreitet

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Der Glaswahn ist eine der seltsamsten Geisteskrankheiten, die in der Geschichte auftraten. Noch merkwürdiger ist, dass sie in gewissem Maße verbreitet war, allerdings nur in den oberen Gesellschaftsschichten, wie etwa bei Königen und Adligen. Diese bizarre Krankheit führte dazu, dass die Betroffenen glaubten, ihr Körper oder ein Teil ihres Körpers sei aus Glas. Sie fühlten sich extrem verletzlich und hatten Angst davor, in Stücke zu zerbrechen, wirkten aber ansonsten oft vernünftig und logisch denkend.
Werfen wir einen Blick darauf, wie dieses seltsame Phänomen zustande kam, und auf einige seiner berühmtesten Opfer. Klicken Sie sich durch die Galerie, um loszulegen.

René Descartes
Der Glaswahn taucht in der historischen Literatur mehrfach auf. Er wird von dem französischen Philosophen René Descartes in seinem Buch "Meditationen über die Erste Philosophie" erwähnt. In diesem Buch wurden die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele diskutiert.

"El licenciado Vidriera" (1613)
Dies ist eine Kurzgeschichte des berühmten spanischen Autors von "Don Quixote", Miguel de Cervantes. Er schrieb "El licenciado Vidriera" ("Der Lizenziat Vidriera") im Jahr 1613. Es erzählt die Geschichte eines intelligenten jungen Mannes, der unwissentlich einen Liebstrunk trinkt, der ihm von einer Verehrerin verabreicht wird. Das Getränk hat jedoch nicht den gewünschten Effekt, sondern lässt ihn glauben, er sei vollständig aus Glas gemacht. Der Mann wird noch weiser und zieht große Menschenmengen an, die ihn treffen wollen.

Die ersten aufgezeichneten Fälle
Aber der Glaswahn ist nicht nur ein Werk der Fiktion und der Sachliteratur. In Europa tauchte er erstmals um das 14. Jahrhundert in medizinischen Aufzeichnungen auf. Diejenigen, die darunter litten, waren fast ausschließlich Aristokraten und Königliche.

Ein Körper aus Glas
Es gab verschiedene Erscheinungsformen der Krankheit, aber die größte Ähnlichkeit bestand darin, dass die Betroffenen glaubten, sie seien aus Glas. In einigen Fällen glaubten sie, ihr ganzer Körper sei aus Glas.

Andere Manifestationen
Häufig glaubten die Opfer, dass nur ein bestimmter Teil ihres Körpers, etwa die Hände, Füße, das Herz oder der Kopf, aus Glas seien.

Das Glasklavier
Andere glaubten, sie hätten sich in ein bestimmtes Glasobjekt verwandelt, etwa eine Vase. Ein berühmter Fall behandelt eine Prinzessin, die davon überzeugt war, dass sie ein originalgroßes Glasklavier verschluckt habe und dieses nun in ihrem Körper stecke.

Karl VI.
Einer der ersten und bekanntesten Fälle der Geschichte ist der von König Karl VI. von Frankreich. Karl wurde mit 11 Jahren gekrönt und viele seiner Berater waren korrupt.

Karl "der Wahnsinnige"
Als er schließlich alt genug war und selbst die Kontrolle übernahm, machte er viele positive Veränderungen in seinem Reich und wurde als Karl "der Vielgeliebte" bekannt. Doch leider hielt sich dieser Beiname nicht lange und er wurde stattdessen zu Karl "dem Wahnsinnigen".

Ein Vorfall in den Wäldern
Bei einer psychotischen Episode, die sich während einer Erkundungstour mit seinen Männern ereignete, hielt er seine Kameraden plötzlich für Feinde und griff sie an. Am Ende tötete er vier von ihnen.

Karls Glaswahn
Er soll im Laufe seines Lebens viele psychotische Episoden erlitten haben, und eine häufige Erscheinung seiner Krankheit war sein Glaswahn.

Der Glaskönig
Es heißt, er habe sich in Decken eingewickelt und sich aus Angst, zu zerbrechen, nicht aus dem Bett bewegt. Wenn er doch aufstand, trug er eisenverstärkte Kleidung, um seinen zerbrechlichen "gläsernen" Körper zu schützen.

Eine Familiengeschichte
Interessanterweise soll auch der Vater von Karl VI. unter psychischen Anfällen gelitten haben. Mehrere seiner Kinder und Enkelkinder, wie König Heinrich VI. von England, zeigten ebenfalls Anzeichen einer Geisteskrankheit.

Der Wahn verbreitet sich
In den folgenden Jahrhunderten verbreitete sich der Glaswahn an den Höfen in ganz Europa. In einer Abhandlung zweier prominenter Ärzte aus dem 16. Jahrhundert wird die Geschichte eines Adligen erzählt, der glaubte, er sei eine Glasvase. Der Mann war ansonsten intelligent, klar im Kopf und rational denkend.

Die gläsernen Derrieres des 17. Jahrhunderts
Im 17. Jahrhundert gibt es mehrere Fälle von Männern, die glaubten, ihr Hinterteil sei aus Glas. Ein Adliger namens Nicole du Plessis litt unter dieser Wahnvorstellung und hatte Angst, sich ohne ein Kissen hinzusetzen.

Prinzessin Alexandra von Bayern
Ein weiterer berühmter Fall einer königlichen Person, die unter dem Glaswahn litt, war Prinzessin Alexandra von Bayern. Sie wurde 1826 geboren und war damit einer der letzten bekannten Fälle dieser Krankheit, die Ende des 19. Jahrhunderts fast ausgestorben war.

Intelligenz und Geisteskrankheit
Prinzessin Alexandra ähnelte König Karl VI. insofern, als sie hochintelligent war. Allerdings zeigte sie schon vor dem Beginn des Glaswahns einige seltsame Verhaltensweisen.

Obsessive Tendenzen
Es heißt, sie war von Sauberkeit besessen und trug nur weiße Kleidung.

Neue Symptome
Eines Tages bemerkte ihre Familie, dass sie sich noch seltsamer verhielt als sonst. Immer, wenn sie durch eine Tür ging, drehte sie sich zur Seite und ging sehr vorsichtig hindurch.

Die "Kindheitserinnerung"
Sie teilte ihnen mit, dass sie sich an etwas sehr Wichtiges erinnert habe. Die Prinzessin behauptete, dass sie als Kind einen ganzen Flügel aus Glas verschluckt habe. Der Flügel befand sich immer noch in ihr, sodass sie sehr vorsichtig sein müsse, um ihn nicht zu zerbrechen...

Vor dem Glas

Die Industrielle Revolution

Zeitgenössische Manifestation

Schlussfolgerung
Glücklicherweise verfügen wir heute über wesentlich humanere und effizientere Methoden zur Behandlung psychischer Erkrankungen als im Mittelalter. Dennoch ist die menschliche Psyche immer noch ein weites Feld, auf dem es noch viel zu entdecken gibt.
Quellen: (History) (BBC) (Ancient Origins)
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Eine neue medizinische Herausforderung
Dieser namenlose König verbrachte Berichten zufolge die meiste Zeit auf einem Bett aus Stroh, um sich zu schützen. Sein verzweifelter Arzt versuchte mit harter Hand, den Zustand zu lindern.

Extreme Maßnahmen
Er zündete das Strohbett an und sperrte den Mann in seinem Zimmer ein! Der Mann versuchte verzweifelt zu fliehen und schlug heftig gegen die Tür und schrie um Hilfe. Der Arzt befreite ihn und wies darauf hin, dass seine Hände zersprungen wären, wenn er aus Glas gewesen wäre.

Fragwürdige Behandlungsmethoden
Es ist überliefert, dass sein Arzt ihm eine ordentliche Tracht Prügel verpasst hat, damit er durch die entstandenen Schmerzen begreift, dass er einen normalen menschlichen Hintern und keinen gläsernen hat!

Untersuchungen
Die Frage blieb: Was verursachte diesen seltsamen Wahn? Im Fall von Karl VI. gehen moderne Psychater davon aus, dass er eindeutige Symptome von Schizophrenie zeigte.

Verletzlichkeit und Angstzustände
Der Glaswahn scheint Ausdruck einer weit verbreiteten Angst zu sein, die Menschen in Machtpositionen während des Mittelalters und der frühen Neuzeit befiel. Zeitgenössische Psychologen gehen davon aus, dass sie damit zum Ausdruck bringen wollten, wie zerbrechlich und ausgeliefert sie sich fühlten.