Israelische Siedlungen im Westjordanland: Verstoß gegen internationales Recht?
Auflösung der Debatte
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Im Juli 2024 urteilte der Internationale Gerichtshof (IGH), dass die Besetzung des Westjordanlandes, des Gazastreifens und Ost-Jerusalems durch Israel unrechtmäßig ist. Dieses bahnbrechende Urteil lieferte eine vollständige rechtliche Einschätzung der Besetzung des Westjordanlandes durch Israel. Israel ficht diese Ergebnisse jedoch an und argumentiert, dass das gesamte Westjordanland Teil des historischen jüdischen Kernlandes darstellt und damit nicht als Besetzung betrachtet werden kann. In der Vorbereitung auf das Urteil und unmittelbar danach haben sich mehrere zentrale Debatten entzündet. Sind die israelischen Siedlungen nun illegal oder nicht?
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Mike Pompeo
2019 sagte der damalige US-amerikanische Außenminister Mike Pompeo, dass die israelischen Siedlungen kein internationales Recht brechen, eine Abweichung von einem Memo von 1978, das Israel als Besatzungsmacht anerkannte.
Judäa und Samarien
Diese Änderung der amerikanischen Politik zeigte einfach die uneingeschränkte Unterstützung der USA für Israel, das das Westjordanland, das es als Judäa und Samaria bezeichnet, offen als Teil seines Staatsgebiets ansieht.
Regierung von Biden
Unter der Regierung von Biden kehrte sich die amerikanische Einstellung wieder um und die Illegalität der Siedlungen im Westjordanland wurde anerkannt. Und dennoch war die finanzielle Unterstützung von Israel durch die USA nie höher als jetzt, wo sich die Siedlungen mit historischer Geschwindigkeit ausbreiten.
Westjordanland
Das Westjordanland ist 5.655 km² groß und befindet sich, wie der Name schon sagt, westlich des Flusses Jordan.
Palästinensische Bevölkerung
Im Westjordanland leben etwa 3,3 Millionen Palästinenser in elf Gouverneursgebieten, von denen das größte die Stadt Hebron ist, die im Süden des Gebiets liegt.
Israelische Armee
Israel hält das Westjordanland seit 1967 militärisch besetzt. Das bedeutet, dass sich das gesamte Gebiet unter militärischer Herrschaft und De-facto-Verwaltung durch die israelische Armee befindet.
Oslo-Abkommen
Das Oslo-Abkommen von 1993 wurde von der palästinensischen Befreiungsorganisation und Israel nach jahrelangen Verhandlungen unterzeichnet und teilte die besetzten Gebiete in A-, B- und C-Gebiete.
A-Gebiet
Das Abkommen besagte, dass über A-Gebiete, die knapp 20 % des Gebietes ausmachen, die neu gegründete palästinensische Autonomiebehörde für zivile palästinensische Angelegenheiten herrschen würde. Das Bild zeigt die Stadt Nablus im Westjordanland.
B-Gebiet
B-Gebiete, die etwa 22 % des Westjordanlandes ausmachen, sollten unter die gemeinsame Kontrolle von Israel und der Palästinenserbehörde fallen. Bei dieser Teilung ist die palästinensische Autonomiebehörde für zivile Verwaltung zuständig und Israel für die Sicherheit. Das Bild zeigt das Viertel Silwan in Ost-Jerusalem.
C-Gebiet
Das restliche Gebiet mit der Bezeichnung C, das 60 % des Westjordanlandes ausmacht, steht unter vollständiger Kontrolle der israelischen Behörden. Dem Oslo-Abkommen zufolge sollte das C-Gebiet langsam in palästinensische Verwaltung übergehen, was jedoch nie geschehen ist. Das Bild zeigt die Siedlung Ma'ale Adumim im Westjordanland nahe Jerusalems.
Etwa 250 Siedlungen und Außenposten
Im Jahr 2024 gibt es mindestens 250 israelische Siedlungen und Außenposten im Westjordanland. Etwa 700.000 israelische Siedler leben im gesamten Gebiet.
Offizielle Gemeinden
Die Siedlungen sind offizielle Gemeinden, die ausschließlich von jüdisch-isrealischen Bürgern bewohnt werden und als Erweiterung des israelischen Staates verstanden werden. In größeren Siedlungen leben Zehntausende Menschen und formen kleine Städte mit Arbeitsplätzen, Schulen, Einkaufszentren, Supermärkten usw.
Nationale Priorität
Baugenehmigungen und Investments durch den israelischen Staat werden für Siedlungen im Westjordanland einfach bereitgestellt. Die israelische Regierung bietet den Menschen starke Anreize für einen Umzug dorthin.
Anreize
Günstige Hypotheken, Steuererleichterungen, gute Einrichtungen und niedrigere Studiengebühren an Universitäten in der Region sind nur einige Beispiele dafür, wie Israel dafür sorgt, dass die Siedlungen für seine Bürger attraktiv bleiben.
Wer sind die Siedler?
Auch wenn viele Siedler im Westjordanland als äußerst religiös dargestellt werden, leben viele von ihnen in den Siedlungen im Westjordanland, weil sie einfach eine höhere Lebensqualität bieten als das israelische Staatsgebiet, wo die Lebenshaltungskosten hoch sind.
Zentrale Strategie der Regierung
Für den israelischen Staat tragen Investments, Erweiterung und Neugründung von Siedlungen zu einer zentralen Regierungsstrategie bei, die die Möglichkeit einer Ausbildung eines funktionsfähigen palästinensischen Staates in dem Gebiet verringert.
Außenposten
Außenposten sind dagegen israelische Gemeinden, die sich ohne vorherige Genehmigung der israelischen Regierung angesiedelt haben. Sie entstehen meist auf palästinensischem Gebiet und sollen die bestehenden Gemeinden durch Einschüchterung und permanente Präsenz vertreiben.
Führen zu permanenten Siedlungen
In der Regel bestehen Außenposten aus Wohnwägen oder Fertighäusern mit wenigen Hundert Siedlern. Sie werden manchmal vom Militär zerstört, da sie nach israelischem Recht illegal sind. Häufig sind sie jedoch die Grundlage dafür, eine anerkannte Siedlung aufzubauen.
Zugang zu Dienstleistungen
Ab dem Zeitpunkt ihrer Gründung werden diese Gemeinden unter militärischen Schutz gestellt und erhalten Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen, neben weiteren Maßnahmen, die es den Gemeinden erlauben, komfortabel zu siedeln und die Siedlungen zu erweitern.
Siedler machen 10 % der Israelis aus
Die Siedler sind die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe der israelischen Gesellschaft. Im Jahr 2024 leben fast 10 % aller jüdisch-israelischen Bürger in Siedlungen oder Außenposten im Westjordanland.
Grenzmauer
Israel baut seit 2002 an einer Grenzmauer. Unter dem Vorwand, für mehr Sicherheit in Israel zu sorgen, wurde die Mauer nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem größtenteils dafür genutzt, weitere Gebiete zu annektieren und palästinensische Gebiete zu zerstückeln.
Infrastruktur
Die Infrastruktur der israelischen Siedlungen ist zwar umfangreich und nutzt zahlreiche Strategien, um so viel Land wie möglich zu gewinnen, wird jedoch hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit stark diskutiert.
Urteil des internationalen Gerichtshofs
Das Urteil des Internationalen Gerichtshofs aus dem Juli 2024 kam zu dem Schluss, dass Israel sich neben anderen Verletzungen internationalen Rechts der Apartheid schuldig gemacht hat. Das Urteil bezeichnet alle Siedlungsaktivitäten im Westjordanland, dem Gazastreifen und Ost-Jerusalem als illegal.
Besetzung illegal
Das Urteil besagt außerdem, dass die Annexierung von Land und Ressourcen sowie das Siedlungsprojekt Israels ebenfalls illegal sind und sofort aufgelöst werden sollten. Die Erklärung des Gerichtshofs beinhaltete Maßnahmen zur Wiedergutmachung und zur sicheren Rückkehr der Vertriebenen. Auf dem Bild sind die palästinensischen Vertreter beim IGH zu sehen, die das Urteil anhörten.
Vierte Genfer Konvention
Das Urteil des IGH spiegelt die Einschätzung der meisten Länder weltweit sowie regionaler und internationaler Organisationen wider, die sich größtenteils auf Artikel 49 der vierten Genfer Konvention berufen, wo es heißt, dass Besatzungsmächte keine eigenen Staatsbürger in die besetzten Gebiete umsiedeln dürfen.
Vereinte Nationen
Seit den 1980er-Jahren haben die Vereinten Nationen Israel immer wieder aufgefordert, die Errichtung und den Ausbau von Siedlungen zu stoppen und bestehende Einrichtungen aufzulösen. Diese Position wurde mehrfach durch Resolutionen des Sicherheitsrats bekräftigt.
Israel erkennt Urteil nicht an
Israel wies das Urteil des IGH zurück und Premierminister Benjamin Netanjahu bezeichnete die Ergebnisse als "absurd" und "unrechtmäßig". Die israelische Ideologie beruht auf der grundlegenden Ansicht, dass alle palästinensischen Gebiete Teil des historischen Heimatlandes der Juden sind.
Israel betrachtet das gesamte Westjordanland als Teil seines historischen Gebietes
Netanjahu zufolge kann auf dieser Grundlage keine Siedlung als Besatzung betrachtet werden, da das gesamte Land den Israelis gehört. Die historische Karte, auf die sich Netanjahu bezieht, umfasst auch Teile des Libanon und Syriens, von denen einige ebenfalls von Israel besetzt sind, sowie Teile Jordaniens.
Umkämpfte Gebiete
In Bezug auf das israelische Recht argumentiert der Staat, dass die israelischen Siedlungen nicht als Besatzungsakt betrachtet werden können, da die Palästinenser keine rechtliche Souveränität über ihr Land haben und auch nie hatten. Die Regierung hat die palästinensischen Gebiete allenfalls als "umstritten" bezeichnet.
Wiederaufbau des Zuhauses
Israel argumentiert auch, dass es im gesamten heutigen Westjordanland schon vor Jahrhunderten jüdische Siedlungen gab und dass die Siedlungen daher in Wirklichkeit die Heimat jüdischer Gemeinden wiederherstellen.
Israel hebt die geschichtliche Einzigartigkeit hervor
Israel argumentiert, dass das internationale Recht die historische Einzigartigkeit des israelischen Kontextes leugnet und sieht jeden Erwerb von Land im Westjordanland als legitim an.
Siedlungen im Gazastreifen
Angesichts der zunehmenden Aufrufe der israelischen Regierung zur Wiedererrichtung von Siedlungen im Gazastreifen wird die Frage nach der Rechtmäßigkeit solcher Aktivitäten nach internationalem Recht immer dringlicher.
Quellen: (The Wall Street Journal) (DW) (Human Rights Watch) (Amnesty International) (ICJ) (B’Tselem) (The New York Times) (Al Jazeera) (PBS) (BBC)
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