In einem kleinen Dorf in der sibirischen Wildnis lebte eine religiöse Gemeinschaft in scheinbarer Harmonie. Ihr Anführer war ein Mann, der sich Wissarion nannte. Viele nannten ihn "den Lehrer".

Wissarion gründete die Kirche des Letzten Testaments kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Er behauptet, die Wiederkunft Jesu zu sein.

Seine Berufung erfuhr er 1990, kurz nachdem er seinen Job als Verkehrspolizist verloren hatte. Damals hieß er noch Sergei Anatoljewitsch Torop. Er behauptet, er habe eine Offenbarung gehabt, dass er die Reinkarnation von Jesus Christus sei.

Wissarion stützt seine Religion auf 18 Bände, die er selbst verfasst hat und die er "Das letzte Testament" nennt. Das Christentum scheint die Hauptinspiration zu sein, wobei auch einige buddhistische und umweltpolitische Ideen einfließen.

Obwohl es viele Gemeinsamkeiten zwischen der Religion Wissarions und der russisch-orthodoxen Religion gibt, gibt es einige wichtige Unterschiede. Zum Beispiel wird Weihnachten nicht gefeiert. Stattdessen gibt es ein großes Fest am 14. Januar, dem Geburtstag von Wissarion.

In den Jahrzehnten seit ihrer Gründung ist es Wissarion gelungen, mehr als 8.000 Anhänger für die Kirche des Letzten Testaments zu gewinnen. Viertausend von ihnen leben jetzt in einer kleinen Siedlung, die sie selbst gebaut haben, 160 km von der nächsten bewohnten Stadt entfernt.

In den 1990er Jahren versammelte Wissarion eine kleine Gruppe von Anhängern und brachte sie nach Sibirien, um dort aus dem Nichts eine Kommune zu gründen. Seine Anhänger nennen sich seine "Jünger".

Diese frühen Anhänger Wissarions verbrachten die bitteren sibirischen Winter in Zelten, während sie langsam ihre Utopie aufbauten. Wissarion sagt, dass Sibirien der beste Ort sei, um den idealen Charakter zu entwickeln.

Die raue Umgebung ist eine Herausforderung, aber es ist auch ein wunderschöner Ort, an dem sie frei sind, auf völlig natürliche Weise zu leben. Die "Jünger" leben in der Regel vegan, bauen ihre eigenen Produkte an und leben ohne Technologie in eng verbundenen Gemeinschaften.

Die Siedlung besteht jetzt aus Dutzenden von kleinen Dörfern, die durch unbefestigte Straßen miteinander verbunden sind. Wissarion lebte getrennt vom Rest der Gemeinschaft. Sein Zuhause befindet sich in einem kleinen Dorf auf dem Gipfel eines Berges, wo er mit etwa 50 seiner engsten Anhänger wohnte. Er nennt es die Wohnstätte der Morgendämmerung.

Diejenigen, die sich Wissarion verschrieben haben, scheinen Trost und Frieden in seiner Selbstsicherheit zu finden. Sie sagen, dass er auf alle Fragen des Lebens eine Antwort hat, ob es nun um ihre persönlichen Probleme oder den Sinn des Lebens geht.

Besucher der Kommune haben Treffen beschrieben, bei denen Wissarion mit seinen Anhängern zusammensitzt und ihre Fragen beantwortet. Sie fragen vielleicht nach Ehestreitigkeiten, dem Ende der Welt oder danach, welches Waschmittel sie benutzen sollen. Was auch immer die Frage war, er hatte eine Antwort und gab diese ruhig und mit vollem Vertrauen.

Wissarion leitet seine Anhänger an, sich von den Sünden des modernen Lebens, wie Rauchen, Trinken und Fluchen, zu befreien und ein einfaches, minimalistisches Leben zu führen. Der Austausch von Geld ist in ihrer Gemeinschaft verboten, es sei denn, die Anhänger möchten ihre Gelder direkt an Wissarion und die Kirche spenden.

Die Apokalyptik ist eine weitere Grundlage der Kirche des Letzten Testaments. Wissarion lehrt, dass eine große Flut die Zivilisation zerstören wird und nur er und seine Anhänger überleben werden. Sie werden dann die Erde neu besiedeln müssen.

In den Schulen sind die Geschlechter getrennt. Den jungen Mädchen wird beigebracht, wie sie diszipliniert sein und in Frieden miteinander leben sollen. Sie lernen, dass Männer die Schöpfer und Herren sind und wie sie sich in ihrer Umgebung zu verhalten haben. Jungen werden in "männlichen Berufen" unterrichtet und lernen praktische Fertigkeiten wie das Bauen.

Wissarion diktierte seinen Anhängern Richtlinien, die weit über ihre religiösen Überzeugungen und Werte hinausgingen. In den ersten Tagen erklärte er, dass sie nur Lebensmittel essen durften, die sie selbst angebaut hatten. Die Mitglieder kämpften darum, sich und ihre Familien zu ernähren.

Wissarion vertrat auch eine extrem antimedizinische Doktrin. Er glaubt, dass Krankheit eine Strafe dafür ist, dass man den Körper nicht im Einklang mit der Natur hält, und dass geistige Heilung die einzige Lösung für körperliche Beschwerden ist. "Erkenne dich selbst. Von nun an muss sich das Fleisch selbst heilen."

Im Jahr 2019 wurde gegen die Kirche Berichten zufolge wegen Betrugs ermittelt, nachdem ein ehemaliges Mitglied behauptet hatte, sie habe ihr Haus verkauft und ihr gesamtes Geld an Wissarion gegeben, nur um von der Kirche abgewiesen zu werden. Sie sagte auch, dass ihr Sohn aufgrund der seelischen Qualen, die durch die Situation verursacht wurden, Selbstmord beging.

Die Ermittlungen schienen zu keinen weiteren Maßnahmen zu führen, aber damit sollte Wissarion nicht lange aus dem Schneider sein.

Im Jahr 2020 führte der russische Föderale Sicherheitsdienst eine Razzia auf dem Gelände durch und verhaftete die drei Leiter der Kirche: Wissarion, seine rechte Hand und der ehemalige Popstar Wadim Redkin sowie Wladimir Wedernikow, der Leiter der Kirche des Letzten Testaments.

Sie wurden unter dem Vorwurf verhaftet, "eine religiöse Vereinigung gegründet zu haben, deren Aktivitäten Gewalt gegen Bürger beinhalten". Sie werden auch beschuldigt, psychologischen Druck ausgeübt zu haben, um Geld von ihren Anhängern zu veruntreuen.

Bei der Razzia fand die Polizei ein großes Versteck mit Gegenständen, die dem Grundethos der Kirche widersprechen. Sie entdeckten Alkohol, Schmuck, Spielzeug für Erwachsene, große Geldbeträge in verschiedenen Währungen und Waffen.

Einer der schwerwiegendsten Vorwürfe gegen Wissarion ist das Verbot medizinischer Hilfe für kranke Gemeindemitglieder. Dies ist besonders schwerwiegend, da viele Kinder in der Kirche leben.

Ehemalige Mitglieder der Sekte sagen, dass mehrere Minderjährige und Erwachsene unnötigerweise starben, weil sie nicht die notwendige medizinische Behandlung erhielten.

Neben dem körperlichen Schaden, der vielen Mitgliedern der Kirche zugefügt wurde, gibt es auch Klagen über emotionalen und psychologischen Missbrauch.

In einer Horrorgeschichte, an die sich ein ehemaligen Mitglied erinnert, erzählte Wissarion ihnen allen, dass ein Planet namens Nibiru auf die Erde stürzen und sie zerstören würde. Die ganze Gemeinschaft bereitete sich auf das Ende der Welt vor, legte Vorräte an und versteckte sich in ihren Häusern, völlig verängstigt.

Als das vorhergesagte Datum ohne ein schreckliches Ereignis verstrich, sagte Wassarion ihnen, dass dies ein Test gewesen sei. Er wollte einfach sehen, ob sie ihm glaubten. Für ein Mitglied ging diese grausame Manipulation seiner treuen Anhänger einen Schritt zu weit. Die anderen waren davon überzeugt, dass sie durch ihre harte Arbeit und ihren Einsatz das Ende der Welt verhindert hatten.

Im Jahr 2020 verdreifachten sich die Anträge auf Mitgliedschaft in der Kirche des Letzten Testaments nach dem Ausbruch der Pandemie. Die Welt wurde von Unsicherheit erschüttert, und ein einfaches Leben außerhalb der normalen Gesellschaft mit einer klaren Führung erschien vielen wie das Paradies. 

Seit seiner Verhaftung im Jahr 2020 hat man sehr wenig von Wissarion gehört. Ein Jahr später saßen er und die anderen Oberhäupter der Kirche immer noch in einem Gefängnis in der Stadt Nowosibirsk. Bis heute ist kein Termin für seinen Prozess bekannt gegeben worden. Auch wenn die Anschuldigungen gegen Wissarion durchaus berechtigt sein mögen, so ist seine Inhaftierung doch auch ein Ausdruck von Putins hartem Vorgehen gegen nichtkonforme religiöse Gruppen. Die Zeugen Jehovas wurden 2017 verboten und zu einer "extremistischen" Organisation erklärt. Wer weiß, welches Schicksal auf Wissarion und seine Anhänger wartet.

Quellen: (BBC) (The Guardian) (RT)

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Jetzt, da Wissarion verhaftet wurde und die dunkle Seite seiner Sekte aufgedeckt wird, ist die Zukunft der Kirche ungewiss. In der Stadt der Sonne leben jedoch immer noch Tausende von Menschen, die seinen Lehren folgen.